Kriegsspiel nach Reißwitz Belagerung von Torgau 1813
bei der Kriegesschule 1819
Bekanntlich war das taktische Kriegsspiel bei den preußischen Offiziers nach 1815 ein beliebter Zeitvertreib in Clubs und dergleichen: daher sollte in der
diesjährigen Kriegsschule der Versuch unternommen werden, das Kriegsspiel auf die Belagerung von Torgau zu übertragen. Die Herrn Officiers sollen sich so mit dem Terrain und den taktischen Manoeuvres vertraut
machen. Da nun das Spiel mit den Bewegungen im 2-Minutentakt und den entsprechenden Distancen nicht auf den mehrere Wochen dauernden Belagerungskrieg übertragbar ist, so legte der Herr Schiedsrichter ein sehr
einfaches Szenario für die erstmalige Erprobung der Spielregeln fest.
Am Kriegsspiel nahmen teil Capitain Blesson als Schiedsrichter, die Capitaines Schmidt (Scheinangriff auf Döbern) und Berger als Oberkommandierender für die
Ausfalltruppen, die Majors Schluppkothen (in Döbern) und Schäfer (in Siptitz als Oberkommandierender) für die Belagerer. Die taktischen Regeln wurden am Sonntagmorgen ca. eine ¾ Stunde von Capitain Blesson erläutert
und auch dahin gehend vereinfacht, daß die Verluste und das Zurückweichen mit einem gewöhnlichen Würfel bestimmt wurden. Eine Karte von der Umgebung der Festung war im Maßstab ca. 1:8000 vorbereitet worden, worauf
die sichtbaren Einheiten in Festung, Forts und Posten plaziert wurden. Die Ausfalltruppen waren ebenso wie die Reserven anfangs für den Gegner nicht sichtbar. Die jeweiligen Offiziere durften ihre Befehle nur über
Schiefertafeln austauschen, die von einem Kurier mit der entsprechenden Verzögerung überbracht wurden. Marsch- und Feuerdistanzen wurden per Stechzirkel vom Maßstabslineal abgegriffen
Die Kriegsgeschichte der Belagerung von Torgau war den Absolventen tags zuvor vertraut gemacht worden; hier also noch einmal kurz gefaßt für das Szenario.
Von Oktober bis November wurde die Festung vom Corps Tauentzien immer enger zerniert, das heißt alle Ortschaften im unmittelbaren Vorfeld der Festung wurden
mit starken Posten besetzt. Um die Stadt direkt bombardieren zu können, wurde die Teichschanze erstürmt, und es wurden dort Wurfbatterien zur Bombardierung der Stadt in etwa 1300 Schritt vor den Außenwerken der
Hauptumwallung als Diversion eingerichtet. Ca. 1/3 preußische Meile elbaufwärts wurde eine Pontonbrücke zwischen Loßwig und Graditz zur Kommunikation zwischen den beiden Teilen des Belagerungscorps errichtet. Die
Artilleriedepots wurden in Süptitz für den Angriff auf Fort Zinna und in Döbrichau für die Ablenkung des Brückenkopfes eingerichtet; ein weiterer Belagerungspark wurde bei Döbern angenommen. In der Nacht vom
26. auf den 27. November 1813 wurden die offenen Trancheen, d.h. die 1. Parallele vor Zinna eröffnet und mit 4 Batterien bestückt. Es war also nur eine Frage von ca. 14 Tagen, daß das Fort Zinna fallen und somit nur
wenige Tage später den gesamten Fall der Festung bewirken mußte, was beiden Parteien bekannt war.
Die Belagerten mußten also schnell handeln, solange sie noch Reserven hatten. Als erstes war das Angriffsziel unter den vier Vorgegebenen zu erkennen:
Pontonbrücke, Depot Döbern, Batterie an der Teichschanze und die Trancheen vor Fort Zinna. Das letztere wurde den Capitaines Berger und Schmidt ganz richtig als das wichtigste Ziel bestimmt. Ein Ausbruch wurde erst
gar nicht in Betracht gezogen.
Der Schiedsrichter gab die Nacht vom 29. auf den 30. November im Morgengrauen, also ca. 7 Uhr, als Beginn des Ausfalls vor. Die Disposition der
Ausfalltruppen war wie folgt: Eine Diversion mit zwei schwachen Bataillons sollte einen Angriff auf das Depot Döbern vortäuschen, dann aber nach Westen einschwenken und die Vorposten vom Gut Mahla und Welsau
vertreiben, und dann auf Zinna vorrücken, um die Batterie in der Flanke zu gewinnen. Die Hauptmacht sollte aus dem Leipziger Tor längs der Eilenburger Straße auf Naundorf vorrücken; eine weitere Kolonne direkt auf
dem Weg nach Zinna unterhalb des Forts die Parallele in der Flanke aufrollen, da nur eine schwache preußische Trancheewache vermutet wurde.
Das Belagerungscorps hatte in Schußweite der Festung feste Posten eingerichtet, die sich so lange gegen einen Ausfall verteidigen sollten, bis die Reserven
eintrafen . Die Belagerungsbatterien erhielten als Trancheewache ein Bataillon, einen Zug Schützen sowie des Nachts eine halbe Fußbatterie an den Flügeln zur Deckung, welche letztere morgens nach Siptitz abgezogen
wurde, um der Festungsartillerie kein Ziel zu bieten. Das Depot in Zinna war nur durch ein schwaches Bataillon verteidigt. Das Artilleriedepot in Siptitz wurde durch 4 Bataillone Landwehr geschützt, die auch
gleichzeitig als Bedeckung für die Belagerungsbatterie operieren sollten.
Das preußische Belagerungskorps traf der Ausfall unerwartet; Major Schäfer nahm sogar einen Ausbruch nach Eilenburg an und konzentrierte seine Kräfte dort,
anstatt die Belagerungsbatterien zu verteidigen. Das in Döbern liegende Bataillon für die Bedeckung des Parks wurde sofort alarmiert und mit 2 Geschützen sowie einer Dragonereskadron Richtung Welsau in Marsch
gesetzt. Die aus Zinna herbeigeeilten 4 Dragonerescadronen konnten allerdings bei Naundorf die ins Karree gegangene Infanterie ohne unterstützende Artillerie und Infanterie nicht werfen. Unterdessen erreichte die
franz. Kolonne mit den Sappeurs die Trancheen und warf erst die Schützen, dann den herbeigeeilten Soutien aus den Batterien. Ein inzwischen alarmiertes Landwehrregiment mit einer halben Fußbatterie marschierte aus
Siptitz zu langsam heran, um noch die Zerstörung der Trancheen, der Geschütze und der Verbrauchspulvermagazine zu verhindern – eine Aktion von ca. 10 Minuten! Damit endete das Szenario nach ca. 2 ½ Stunden
Spielzeit am Sonntagmittag gegen ein Uhr.
Beurteilung: Der französische Ausfall hatte sein Ziel erreicht, allerdings hätte sich der Rückzug durch die beiden Tore angesichts der preußischen Übermacht
schwierig gestaltet – unter dem Schutz der Batterien von Zinna und Mahla hätten sich hingegen die Ausfalltruppen wieder sammeln können. Die preußischen Reserven hätten höchstens 1000 Schritt, also nur ca. 10
min Marschzeit von der Batterie, nämlich in Zinna postiert sein müssen. Die Trancheen wären zwar leicht wieder herzustellen gewesen, Geschütze und Pulver wären hingegen sehr viel schwieriger zu ersetzen gewesen. Für
die Belagerten wurde also ein Zeitgewinn von maximal fünf Tagen angenommen. Weiter ist anzumerken, daß beide Parteien von den kombinierten Waffen nicht recht Gebrauch zu machen mußten, besonders die Artillerie wurde
ausnahmslos schlecht plaziert und verlor so viel von ihrer Wirkung. Zweifellos wäre der Major Schäfer wegen des Verlustes der Belagerungs-Batterie vor das Kriegsgericht zitiert worden, wenn er nicht sehr
einflußreiche Fürsprecher gehabt hätte …
Die flüssige Umsetzung der komplizierten Regeln im Zweiminutentakt bedarf zweifellos der intensiveren Vorbereitung, wie der Schiedsrichter gestehen muß.
Jedoch konnte gezeigt werden, daß man das Kriegsspiel umsetzen und ihm spannende Seiten abgewinnen kann…
Quellen
Reiswitz, Georg Heinrich Rudolf von 1824. Anleitung zur Darstellung militairischer Manöver mit dem Apparat des
Kriegs-Spieles. Berlin.
Reiswitz, George Leopold von 1812. Taktisches Kriegs-Spiel oder Anleitung zu einer mechanischen Vorrichtung um
taktische Manoeuvres sinnlich darzustellen. Berlin.
|