Kriegsspiel nach Reißwitz d.J.
Ein Gefecht bei Zeilitzheim am 13. November 1811
Kriegesschule 1811
Zu den Absichten des Kriegsspiels im Allgemeinen siehe Reißwitz d.J. sowie das Spiel vom Jahre 1819 und 1820.
Die General-Idee
Eine französische Armee mit drei Armeecorps hat eine Offensive über den Rhein nach Franken eröffnet, um von dort nach Thüringen vorzudringen. Eine
preußische Armee befindet sich auf dem Rückzug entlang des Mains zwischen Schweinfurt und Bamberg. Beide Seiten sind sich über die Stärke und Absichten des Gegners im Unklaren.
Die Spezial-Idee oder das Szenario
Teile des französischen II. Armeekorps (Armée du Centre) haben am Samstag den Main nahe Volkach überschritten und den preußischen Kordon auf die Mainhöhen
zurückgedrückt, aber nicht zersprengt. Die pr. Arrieregarde soll den Rückzug der Hauptarmee bis Bamberg decken. Es gelingt dem preußischen Oberkommando, im Laufe des Samstag alle Reserven an der Linie Volkach -
Obervolkach - Zeilitzheim - Kolitzheim zusammenzuziehen und Verstärkungen aus Schweinfurt zu erhalten. Diese gehen am Mittag zum Gegenangriff über, der das II. Armeekorps empfindlich treffen könnte, welches erst aus
dem Höhenrücken vor Gaibach debouchieren muß, und dessen Reserve den Main erst am Vormittag überschreiten wird.
Die Absichten des Schiedsrichters
Das folgende sollte bei den Parteien eingeübt werden:
- Erstmaliges Operieren in einem Armeecorps mit Brigaden / Divisionen
- Zusammenarbeit im Stabe als Brigadiers (Einteilung der Infanteriebrigaden nach Decker)
- Einsatz der kombinierten Waffen nach v. Decker, insbesondere der Artillerie und Kavallerie
- Planmäßiges Positionieren der Truppen im Terrain, besonders unter Beachtung der Kommunikationslinien
- Stärken und Schwächen einer Cordonstellung seitens der Preußenpartei
- Die Auswirkung strategischer Entscheidungen der jeweiligen Hauptquartiere auf den taktischen Spielraum der Armeecorps
Da das Kriegstheater diesmal um das Schloß Zeilitzheim angenommen war, so waren die Herren Absolventen gehalten, sich erstens eine topographische Karte des
k.b. Generalstabes zu beschaffen, und zweitens bei der Anreise die Hauptabschnitte des Terrains selbst in Augenschein zu nehmen. Dies sind nämlich die Mainschleife bei Volkach, der Übergangspunkt bei Fahr, der
Aufstieg auf das Plateau bei Gaibach, die Positionen am Mühlenbach und an der Volkach und nicht zuletzt, die rückwärtigen Kommunikationslinien nach Gerolzhofen bzw. Würzburg im Falle eines Mißerfolgs.
Drittens sollte das Recognoszieren auf der Zeilitzheimer Höher den Herren die Eigenheiten des gedachten Schlachtfeldes zwischen Zeilitzheim und der
Konstitutionssäule vor Augen führen. Die Geländefalten und Wälder erlauben dem geschickten Taktiker viele verdeckte Bewegungen.
Die Disposition
Jede Partei erhielt ein Armeecorps mit vorgegebener Ordre de Bataille (französischer und preußischer Schlachtplan) der Brigaden.
Angreifende Franzosenpartei mit II. Corps: Der Armeebefehl sieht vor, nach dem Übergang vom Vortage der gegnerischen Hauptarmee bei Schweinfurt in die Flanke zu fallen. Dazu muß der Durchbruch bei Gaibach entlang der Poststraße nach Norden erzwungen werden und die Rückzugslinien des Gegners bedroht werden, so daß diese jener nicht mehr in die rechte Flanke fallen kann. Ein weiteres Armeecorps bei Ochsenfurt soll die südliche Cordonstellung aufrollen, so daß spätestens am zweiten Tag die Angreifer doppelt überlegen sind, und die Rückzugslinie der Arrieregarde, vielleicht auch der Hauptarmee bedroht werden kann.
Verteidigende Preußenpartei
(Arrièregarde) in Cordonstellung: Die Absichten der Franzosenpartei sind anfangs noch unklar, so daß auch eine bewaffnete Recognoszierung über den Main in Erwägung gezogen wird.
Der Armeebefehl (1,2) für die Arrieregarde bestimmt, daß der Übergang verhindert, mindestens aber verzögert wird. Die auf dem Rückzug
befindliche Hauptarmee sammelt sich bei Haßfurt, gedeckt durch einige Kavallerie-Escadrons und eine Reserve-Brigade bei Schweinfurt. Die Hauptarmee soll aber eine Haupt- und Generalschlacht überhaupt erst bei
Bamberg nach der Vereinigung mit der Arrieregarde annehmen. Daher wird zur Deckung der rückwärtigen Kommunikationslinie der Rückzug über Gerolzhofen befohlen.
Die Regeln
Sind die nämlichen wie im vorigen Jahr. Neue Maßstäbe für die Marschgeschwindigkeiten und Wirkung der Artillerie wurden verteilt.
Die Parteien
Seine Exz. Generallieutenant v. Geusau übernahmen die Rolle des Vertrauten bzw. Schiedsrichters.
Zwei schriftkundigen Burschen wußten die beiderseitigen Verlustlisten nach Anweisung Ihrer Exz. zu führen.
Die Partei der Preußen stellten Oberst v. Loriol als Befehlshaber sowie Major Schluppkothen und Capitaine Brenneisen etc. Die Franzosenpartei wurde gebildet
mit Colonel Chasseur als oberstem Befehlshaber, dann die übrigen Herren wie Capitaine Schmidt, Rittmeister Matejka etc.
Die Vorbereitung
Seine Exz. übergaben am Samstagnachmittag beiden Oberkommandierenden je einen Umschlag mit Instruktionen, enthaltend den Armeebefehl und die Ordre de
Bataille. Die Oberbefehlshaber wies die Positionen an, die am nächsten Morgen eingenommen werden sollten, und forderte die Herren Oberkommandieren auf, ihm am Abend die ausgearbeitete Ordre de Bataille sowie die
Dispositionen für den kommenden Tag einzureichen.
Bei der Franzosenpartei löste die Positionierung der zweiten Pontonbrücke ein heftige Kontroverse aus, die vom Oberkommandierenden mit der richtigen
Entscheidung beendet wurde: der 2. Übergang kann angesichts des nahen Feindes nur am Brückenkopf stattfinden, und alle weiträumige Umfassungen verbieten sich wegen der langen Anmarschzeiten oder wegen des
alarmierten Gegners.
Das Spiel
Als Spielzeit wurde Sonntag, der 13. November, von 8 Uhr morgens bis 12 Uhr Mittag festgesetzt. Die Parteien nahmen folgende Positionen ein:
Franzosenpartei: Reserven auf dem rechten Mainufer, Gros und Avantgarde auf dem Höhenrücken in der Mainschleife von Fahr vor Gaibach.
Preußenpartei: Die Positionen lagen im weiten Bogen auf der Höhe von Volkach – Obervolkach – Zeilitzheim – Kolitzheim – Lindach -
Main. Die preußischen Reserven sind auf dem Anmarsch auf der Chaussee von Schweinfurt und werden gegen Mittag bei Kolitzheim erwartet; daher brauchte der rechte Flügel nur schwach zu sein.
Phase I
zwischen 9 und 10 Uhr morgens: Verdeckter Aufmarsch der Franzosen mit der Vorhut und dem Hauptreffen über den Höhenrücken von Fahr. Die französische Reserven beginnen bei Fahr über den Main zu setzen.
Der preußische Aufmarsch richtete sich in den Senken zwischen Obervolkach - Zeilitzheim – Kolitzheim gegen Gaibach, gedeckt vor den
gegnerischen Augen. Das Dorf Gaibach wird noch vor den Franzosen besetzt, und ist dazu bestimmt, den ersten Angriff aufzuhalten. Der Herr Schiedsrichter entschied, wann die Einheiten sichtbar wurden.
Phase II: Die franz. Avantgarde wendet sich gegen das inzwischen von den Preußen besetzte Gaibach. Eine Brigade sucht das Dorf rechts zu umfassen,
wird jedoch von der Brigade Brenneisen aufgehalten. Ein einziges Bataillon verteidigt Gaibach, welches jedoch in Brand gesteckt wird, als die ersten franz. Bataillone eindringen. Hinter dem Dorf wird ersteres
gestellt und aufgerieben. Die pr. Batterie links des Dorfes hat ihre Munitionswagen zurückgelassen und muß sich deshalb auf den Höhenrücken hinter Gaibach zurückziehen, als sie sich verschossen hatte. Dort agiert
sie aber mit guter Wirkung gegen die angreifenden franz. Batterien im Zentrum, rechts von Gaibach, die mit geringem Effekt die preußische Batterie unter Feuer nimmt. Mit einigen glücklichen Attacken gelingt es der
pr. Kavallerie auf dem linken Flügel, die angreifende Brigade aufzuhalten.
Die französische Reserve hat den Main überquert und steigt auf den Höhenrücken bei Fahr.
Phase III ab 12 Uhr: Der preußische Gegenangriff mit den Reserven aus Schweinfurt drängt den linken französischen Flügel mit einem Kavallerieangriff
unter hohen Verlusten zurück. Brigadier Schmidt gerät in Gefangenschaft. Die französische Reserve beginnt aus dem Engpaß vor Gaibach zu debouchieren und wird spätestens in einer halben Stunde in das Gefecht im
Zentrum oder Norden eingreifen können.
Der Vertraute bricht das Spiel um 1 Uhr ab.
Ergebnis und Bewertung
Eine Entscheidung für eine Seite war gegen Mittag noch nicht abzusehen.
Die französische Seite hätte nur einen bedeutenden Erfolg erzielen können, wenn es am Nachmittag gelungen wäre, das preußische Zentrum gegen den Mühlbach zu
drücken, oder nach Norden, wie es der Armeebefehl forderte, durchzubrechen. Das taktische Ziel des II. franz. Armeecorps, der Durchbruch nach Schweinfurt wäre nur mit hohen Verlusten erkauft worden, und hätte den
gedachten Flankenangriff auf die Hauptarmee verfehlt, da sich diese ohnehin schon nach Bamberg absetzte. Folglich wären die pr. Kommunikationslinien niemals ernsthaft gefährdet gewesen.
Die pr. Arrieregarde hätte aber selbst bei einem Erfolg spätestens am nachfolgenden Tage die Positionen auf der Linie Frankenwinheim - Zeilitzheim -
Kolitzheim angesichts des aus Süden (Ochsenfurt) anrückenden III. Armeecorps aufgeben müssen, um die Kommunikationslinien nicht zu gefährden. Der Rückzug der Arrieregarde über Gerolzhofen war (paradoxerweise) das
Ziel beider Parteien.
Beobachtungen & Empfehlungen
Die Herren Offiziers von der Franzosenpartei hatten schon vorher das Terrain
an Hand von Karten erkundet, was den Herrn von der Preußenpartei nur äußerst bedingt nachgesagt werden kann. Das Kartenstudium, meine Herren, ersetzt zwar niemals das Recognoszieren, kann aber doch unangenehmen Überraschungen vorbeugen, beispielsweise den inpraktikablen Morast des Mühlbachs zwischen Zeilitzheim und Kolitzheim.
Der Vorpostendienst, insbesondere mit der Kavallerie, wurde diesmal besser beachtet. Der Herr Rittmeister von der leichten franz. Kavallerie hat
diesmal richtig als Unterstützung für die Infanterie agiert, und ist gar nicht erst in Versuchung gekommen, den Heldentot vor den Hecken und Häusern wie weiland letztes Jahr zu suchen. Allerdings blieb dem Herrn
Schiedsrichter verborgen, warum kein pr. Kavalleriedetachement den Main bei Stammheim und Wipheim beobachtete.
Pr. Reservekavallerie: Der Name sagt es bereits, daß diese nur in der letzten Phase der Schlacht verwendet werden sollte, entweder, um den bereits
wankenden Gegner mit dem Chok zu werfen, oder auch um den eigenen Rückzug zu decken.
Die Attacke aus dem Marsch heraus war zwar die richtige Entscheidung, aber zur nicht geringen Verblüffung des Schiedsrichters sollte die pr.
Reservekavallerie ohne Artillerie- oder Infanterie-Unterstützung zwei Karrees im coupierten Terrain niederreiten, was auch tatsächlich dank der äußerst wohlmeinenden Fortuna gelang. Dennoch war der linke franz.
Flügel (angesichts der gerade eintreffenden Reserven) niemals ernsthaft bedroht. Der Schiedsrichter hätte der solchermaßen angeschlagenen Kavallerie eine Sammlungspause von 30 Zügen verordnen und die Einsatzstärke
halbieren müssen: die gesamte Kavalleriereserve wurde also einem geringen & zweifelhaften taktischen Erfolg geopfert, ohne dem weiteren Gefecht eine entscheidende Wendung geben zu können. Nach Meinung des
Schiedsrichters wäre es wirkungsvoller gewesen, die Infanterie durch eine angedrohte Attaque und eine Umgehung der Flanken festzuhalten, bis die reitende Artillerie in Kartäschenschußweite auffahren konnte und die
unterstützende Infanterie herangekommen wäre. Dies hätte zweifellos einen scharfen Tadel des Herrn Oberkommandierenden nach sich ziehen müssen. Bei der nächsten Kriegesschule wird man sich noch einmal der Taktik der
verbundenen Waffen widmen müssen.
Linker franz. Flügel: Es ist zwar schön, sich mit einem Karree gegen angreifende Kavallerie zu wehren und den Heldentot zu sterben, doch
naheliegender wäre es gewesen, einfach die Waldränder zu besetzen, wohin die Kavallerie ohnehin nicht folgen konnte. Man scheue nicht das Gefecht im Walde!
Einsatz der pr. Artillerie
bei Gaibach: Es ist ein elementarer Grundsatz, daß die Munitionswagen stets nahe hinter der Batterie stehen, andernfalls sich diese rasch verschießt und zurückgenommen werden muß. Bei der Artillerie befindet sich immer eine Bedeckung, bzw. ist diese in die Lücken zwischen den Infanteriebataillonen eingebettet.
Und weiter an der Konstitutionssäule: Angreifende Artillerie
– besonders die reitende - geht immer bis in Kartätschenschußweite vor, weil für gewöhnlich der Bogenschuß eine weitaus geringere Wirkung hat. Reitende Artillerie ist zu wertvoll und läßt sich daher niemals auf ein Artillerieduell mit der Fußartillerie ein. Die pr. Artillerie im Zentrum war wenig wirkungsvoll in zu weiter Entfernung an einem Waldrand postiert, der obendrein die Sicht nahm.
Verteidigung von Gaibach: Der Schlüsselpunkt der Verteidigung war zu schwach besetzt und wurde nicht genug von den anderen Einheiten hinter dem Dorf
unterstützt. Die kunstgerechte Verteidigung von Dörfern wird also Gegenstand der nächsten Kriegsschule sein.
Linke Flanke am Mühlbach: Die Bataillons des Capitaine Brenneisen waren auf der linken preußischen Flanke exponiert, und hatten gerade noch das
Glück, längs des Mühlbachs gegen Zeilitzheim zu entschlüpfen. Ein noch energischerer Angriff des rechten franz. Flügels, und die Bataillons wären am Weinberg oder vor der Brücke von Obervolkach aufgerieben worden.
Volkach
wurde zu Recht beim Beginn des Treffens preisgegeben. Es hätte sich aber beispielsweise empfohlen, mindestens die Holzbrücken in Brand zu setzen, wenn nicht sogar den Ort selbst, um einen möglichen Übergang französischerseits an diesem Punkte zu behindern.
Taktik der zwei Treffen: Seine Exz. mußten schmerzlichst zur Kenntnis nehmen, daß die Taktik der zwei Treffen beiden Parteien zur Gänze unbekannt war
und wohl noch immer ist. Das Avancieren en échiquier wollte sich zum Beispiel gar nicht praktizieren lassen, stattdessen schienen Linie und Bataillonskolonne das einzige bekannte taktische Element auf Brigadeebene
zu sein.
Der pr. Général en Chef
hätte dafür Sorge tragen müssen, Maßnahmen für die Zerstörung der Brücke in Zeilitzheim, das Legen von Brandsätzen, die Verteidigung von Zeilitzheim sowie für weitere provisorische Übergänge des unpassierbaren Morastes nördlich von Zeilitzheim zu ergreifen. Im Falle eines Rückschlags hätte das Durchziehen durch Zeilitzheim wahrscheinlich den Verlust von mehreren Batterien und Bataillonen nach sich gezogen, da der Morat zwischen Zeilitzheim und Kolitzheim bekanntlich unpassierbar war. Die im franz. Zentrum platzierte Haubitzbatterie ließ den Plan, Zeilitzheim bei erster Gelegenheit in Brand zu schießen und somit für einen Rückzug unpassierbar zu machen, schon sehr deutlich erkennen.
Die Hindernisse auf der Hauptrückzugslinie nach Gerolzhofen waren also nicht beseitigt, und hätten bedeutende Verzögerungen veranlaßt. Der Herr
Oberkommandierende hätte sich nach dem Eintreffen der franz. Reserven entscheiden können, das Zentrum hinter Zeilitzheim zurückzuführen, und den Angriff aus Kolitzheim zur Entlastung nur so lange zu führen, bis der
Übergang über den Mühlbach gelungen wäre. „Opfere den rechten Flügel, um das Gros zu retten.“
Beim franz. Oberkommandieren konnte der Herr Schiedsrichter keine wesentlichen Kritikpunkte anbringen.
Allgemein möchte der Herr Schiedsrichter allen Officiers rekommandieren, aus dem Schatten ihrer eigenen Truppengattung
herauszutreten, denn nichts ist wahrhaft betrüblicher, als wenn ein Generalstabsoffizier die anderen Truppengattungen schmäht.
Der Herr Schiedsrichter
bedarf bei künftigen Spielen dieses Umfangs weiterer Auxiliar-Schiedsrichter, um dem Spiel einen flüssigeren Gang zu geben und um Regelverstöße abzuwehren. Das Relief der Höhenzüge muß beim nächsten Plan deutlicher herausgearbeitet werden.
Soweit die unmaßgebliche Meinung des Herrn Schiedsrichters, der zu einem gerechten Urteil finden möchte.
Quellen:
Reiswitz siehe vorige Kriegsspiele
(c) Photos und Abbildungen Lukas Fischer, Henrik Schaper, Patrick Köstel, Christian Vogel und Martin Klöffler
|